Donnerstag, 20. August 2020

Die bunte Mauer

      (Diese sehr kurze Geschichte muss ich Anfang der 90er Jahre geschrieben haben. Ich vermute 91', aber ganz sicher bin ich nicht. Worum es geht, wird schnell offensichtlich. Natürlich habe ich heute eine große Distanz zu meinen alten Texten, sie sind eher ein interessanter, manchmal etwas belustigter Blick auf ein jüngeres Selbst in einem anderen Zeitgeist. Mit der Distanz der Jahre sehe ich heute auch, wie fremd und weit entfernt mir vieles der bewegten Jahre von 89/90 damals war … und auch, welche Autoren ich damals besonders verehrte. Trotzdem mag ich diesen kleinen Text irgendwie bis heute. Und da ich "Die bunte Mauer" meines Wissens nie irgendwo veröffentlicht habe, poste ich den Text hier anlässlich meines ersten Throwback Thursday.)
 
 
    »Und was ist das?«
    »Eine Mauer.«
    »Bunt.«
    »Ja, das ist sie.« Wie zur Bekräftigung öffnete Leutnant Elegance eine Flasche Champagner, die er bis zu diesem Augenblick in den Falten seines weiten Uniformmantels verborgen hatte. »Doch dieses Stück ist nur ein armseliger Überrest«, fuhr er fort. »Man sagt, früher habe sie den ganzen Kontinent durchzogen.«
    »Wie aufregend.« Lady Priscin Carol Habermann ließ ihr Zigarettenetui mit einem leisen 'Schnapp' aufklappen, gefolgt von einer antiken Melodie. 
Leutnant Elegance hielt zwei Champagnergläser in der Hand und goss ein. »Es ist mir eine besondere Ehre, hier mit ihnen zu trinken, Lady Habermann.«
    »Danke.« Lady Priscin Carol Habermann lächelte und blies einige wunderschöne Rauchringe. Ihr Blut war aristokratisch, über jeden Zweifel erhaben. Ebenso wie Leutnant Elegance' Uniform.
    »Wozu war sie gut?«, fragte Lady Habermann und nippte an ihrem Glas.
    »Schwierig zu sagen. Es hatte etwas mit Bananen zu tun.«
    »Mit Bananen?« Amüsiert blickte Lady Habermann auf die bunten Zeichnungen an der Mauer, während sie über den knirschenden Schnee gingen. Der Himmel war grau und tief. Die Kälte verlieh ihren Gesichtern einen bleichen Schein und Wölkchen gefrorenen Atems tummelten sich über ihren Köpfen.
    »Das schmeckt gut.« Lady Habermann blickte in ihr Champagnerglas. »Warum haben sie es bis jetzt verborgen?«
    »Er ist aus Tunis.« Leutnant Elegance schmunzelte. »Doch zum Wohl.«
    »Zum Wohl.« Die Gläser waren leicht beschlagen. »Erzählen sie mir etwas über die Bananen, Leutnant Elegance«, bat Lady Priscin Carol Habermann und spannte ihren kleinen Schirm auf, denn ein leichter Schneefall hatte eingesetzt.
    »Bananen waren damals sehr wertvoll.« Leutnant Elegance zündete sich eine Zigarre an. »Doch sie waren ungleich verteilt.«
    »Wie ungerecht.«
    »Das fand man damals auch. Auf der bunten Seite der Mauer«, Leutnant Elegance zeigte nach rechts, »lebte ein Volk, das sich 'Bananenrepublik' nannte.«
    »Oh«, sagte Lady Priscin Carol Habermann. 
Wie schön ihr 'Oh' doch ist, dachte sich Leutnant Elegance und zog an seiner Zigarre. »Auf der anderen Seite«, erklärte er weiter und deutete mit seinem weißen Handschuh nach links, »lebte ein Volk, das nur aus Arbeitern und Bauern bestand.«
    »Wie romantisch.« Lady Habermann und klappte wieder ihr Zigarettenetui auf, nur um die schöne Melodie zu hören. Die zarten Klänge erfüllten die kalte Luft.
Das Stück Mauer war etwa zwanzig Meter lang. Sie waren am Ende angekommen und gingen auf der anderen Seite zurück. Lady Habermann stellte enttäuscht fest, dass die Mauer auf der Rückseite gar nicht so bunt war.
    »Die Menschen in der Bananenrepublik hatten, wie der Name schon sagt, alle Bananen gehortet.« Leutnant Elegance hielt einen Moment inne und strich sich über den Schnurrbart. »Natürlich fanden die Arbeiter und Bauern das sehr ungerecht.«
    »In der Tat.«
    »Ja, und deshalb kam es zur großen Revolution.«
    »Oh.« Lady Priscin Carol Habermann blickte ein wenig schockiert zum Leutnant. »Gab es viele Tote?«
    »Vermutlich.« Leutnant Elegance machte eine weitschweifende Geste mit seiner Hand. »Sie wissen doch, wie das im Krieg ist.«
    »Haben sie die Bananenrepublik erobert?« wollte Lady Habermann wissen.
    »Das war seltsam«, sagte der Leutnant. »Zunächst eroberten sie ihr eigenes Land, und dann verließen sie es alle. Die Menschen in der Bananenrepublik hießen sie aufs herzlichste Willkommen. Eine Zeit lang war es deshalb sehr leer auf der einen Seite.«
Lady Priscin Carol Habermann blickte gedankenversunken über die weite Ebene und versuchte, sich ein leeres Land vorzustellen. »Aber sie hatten alle Bananen?«
    »Ja und Nein«, erwiderte der Leutnant. »Die Menschen in der Bananenrepublik hatten ja sozusagen gewonnen, deshalb konnten sie die Bedingungen diktieren.«
    »So ist es halt«, seufzte Lady Habermann während sie durch den unberührten Schnee gingen.
    »Ja, so ist es.« Leutnant Elegance drückte den Zigarrenstummel mit dem Absatz seines Reitstiefels aus. »Noch etwas Champagner?«
    »Ja, gerne.«
    »Nun, die Bedingung war folgende«, nahm Leutnant Elegance den Faden seiner Erzählung wieder auf. »Alle Arbeiter und Bauern sollten fortan ebenso Bananen horten, sonst würden sie keine Hilfe bekommen.«
    »Hilfe wofür?«
    »Für‘s Bananen horten.«
    »Das klingt seltsam, aber doch eigentlich gar nicht so schlimm.«
    »Das dachten die Menschen damals auch. Doch dann geschah das Furchtbare.«
    »Furchtbar?« Lady Priscin Carol Habermann mochte die Art, wie der Leutnant das Wort aussprach. Er tat es so, wie es nur ein Leutnant aussprechen konnte, mit jenem Nachhall von Erfahrung und Erinnerung eines weit gereisten Mannes.
    »Ja, furchtbar«, sagte der Leutnant nochmals. »Auf ihr Wohl, Lady Priscin Carol Habermann.«
    »Auf ihr Wohl, Leutnant.« Das 'Pling' zweier Champagnergläser stand für einen kurzen Moment in der Luft. Sie waren wieder am Ende der Mauer angelangt.
    »Wissen sie, Lady Habermann«, erzählte der Leutnant. »Sie alle starben.«
    »Wie schrecklich.« Lady Habermann fröstelte. Sie wickelte ihren Schal ein wenig fester. »Was hatten sie falsch gemacht?«
Leutnant Elegance öffnete Lady Habermann die Tür ihres Wagens, in seiner unverwechselbar zuvorkommenden Art.
    »Danke«, sagte Lady Habermann.
    »Es kam so, wie es kommen musste«, meinte der Leutnant, während er der Lady in das Auto half. »Sie starben alle an Bananenvergiftung.«
Lady Priscin Carol Habermann schwieg, bis Leutnant Elegance den Wagen angeworfen hatte. Leise tuckernd entfernten sie sich von der Mauer.
    »Wie dumm«, sagte sie dann. »Aber so ist das halt.«
    »Ja, so ist das halt«, antwortete der Leutnant.
Der Schnee fiel nun dicht und flockig, und im Hotel warteten schon ein warmer Kamin und ein Glas Portwein auf sie.

Montag, 17. August 2020

Ein Mann und seine Mission

Martial Arts Western, Pulp Fiction, Road Movie und Hard SF – Paul McAuley mischt einen Kessel Buntes

 
Ein alter Mann in einem staubigen Ledermantel nähert sich misstrauisch einem einsamen Gehöft. Die Gebäude unter der heißen Mittagssonne sind verlassen, ein Kampf hat stattgefunden. Das Gefühl drohender Gefahr liegt wie Hitzeflimmen über der Szenerie. Die Leichen zweier Männer hängen an einem Feigenbaum, der einen alten Brunnen beschattet. Hungrig bedient sich der einsame Reisende an den spärlichen Resten häuslicher Vorräte. Als er wieder aus dem Gebäude tritt, sieht er am Horizont eine Gruppe Reiter, die sich langsam nähern …
 
Für alle, die gerne Musik beim Lesen hören, ist ein Soundtrack von Ennio Morricone sicher eine adäquate Wahl für die ersten Kapitel von Paul McAuleys Roman War of the Maps. McAulay ist die Lust an der Kulisse anzumerken, viele der Szenen wirken wie aus einem zynischen, desillusionierten Spätwestern.

»… two men hanging from one of the branches high above, nooses tight under their chins, arms tied behind their backs, dressed in patched and much-washed cotton shirts and trousers. Flies orbited their heads, crawled over eyeless sockets and teeth exposed by rictus grins. Hard to tell how long they had been dead. Several days at least, maybe more.« (S. 53)

 
Auch die klare und lineare Story könnte aus einem Italo-Western stammen. Ein Mann auf der Jagd und zugleich auf der Flucht. Thorn ist ein ehemaliger Lucidor, ein Lawkeeper aus einem weit entfernten Land. Ein alternder Ex-Sheriff auf der Suche nach einem entflohenen Massenmörder, einem alten Fall voller offener Rechnungen. 

Thorn auf den Fersen: sein altes Leben, ehemalige Kollegen, die ihn stoppen und zurückbringen sollen. Die vermeintliche Flucht des Mörders, den Thorn einst hinter Gitter brachte, war keine. Sie war ein schmutziger Deal unter Regierungen, im Kampf gegen eine fremdartige Invasion. Doch diese Art von Deal ist mit Lucidor Thorn nicht zu machen. McAuley erweist dem klassischen Cinemaskop-Western nicht nur mit Plot und Kulissen Referenz. Sein Held hat einen klaren Kompass, der durch nichts und niemanden zu erschüttern ist. Er ist der Gute und er weiß es. Einer wie er arbeitet nicht für Geld und akzeptiert keine Autoritäten, die nicht seinem moralischem Weltbild entsprechen.

 »One of the lone dogs that the department found useful until they crossed a line or butted against an immovable authority, as they almost always did. They never attained the highest ranks, worked cases others had long ago abandoned, and often wrecked their careers or were sidelined or dismissed after upsetting someone in power or ignoring the chain of command.« (S. 51) 

»He’d had his own agenda, had been stubbornly faithful to the damned code of honour which some might say had killed him in the end« (S. 389)

Der Leser ahnt, dass Thorns Sehnsucht nach Gerechtigkeit den Geschmack einer Tragödie hat. Die Erinnerungen an seine tote Frau begleiten ihn ebenso wie unzählige innere und äußere Verwundungen. Nichts kann ihn mehr über die Wahrheiten des Lebens hinwegtäuschen.

» ‚But an important part of growing old is accepting without regret that all lives end in some kind of failure. We never do everything we hoped to do, or do what we have done as well as we would have liked.‘« (S. 117)

Eine Figur wie Thorn lädt geradezu dazu ein, ihn mit Vorbildern und Archetypen der Filmgeschichte zu besetzen. Doch beim Lesen hatte ich keinen Mundharmonika spielenden Charles Bronson vor Augen und auch keinen einsamen Reiter wie Clint Eastwood. Für mich ist Thorn die gealterte Inkarnation von David Carradine aus der TV Serie Kung Fu und dies nicht nur wegens seines Kampfstabes, mit dem der Lucidor in bester Martial Arts Manier reihenweise Gegner außer Gefecht setzt. Hinter Thorns lakonischem Lächeln verbergen sich eine Menge wortkarger Aphorismen und eine klare Philosophie. Thorn kommt aus den Free States, einer egalitären, leicht sozialistisch angehauchten Nation ehemaliger Sklaven, die einen krasser Kontrast zu den autoritären Regimen bildet, mit denen er sich im Verlauf der Geschichte arrangieren muss.

McAuley lässt die Erkennungszeichen und Versatzstücke des Science-Fiction-Genres nur langsam einsickern. Auf seinem Weg durchwandert der Lucidor eine Welt, die uns bekannt und zugleich fremd ist. Bekannt durch die unzähligen Western-Referenzen, die bald um asiatische Stadtkulissen aus der Zeit des Boxeraufstandes erweitert werden. Fremd wird sie durch die fast beiläufig platzierten Hinweise, dass es sich hier eben nicht um den wohlbekannten Rahmen einer wohlbekannten Geschichte handelt. Statt der erbarmungslos brennenden Mittagssonne wandert ein Ring aus künstlichen Spiegeln über den Himmel, Gesetzlose feuern mit Blazern, psychisch begabte Menschen – zu denen mir nur das Wort Mutanten einfällt – nutzen ihre Fähigkeiten auf beiden Seiten des Gesetzes. Technische Artefakte wie Puls Engines, Mikroskope und Gen-Sequencer werden genutzt, ohne richtig verstanden zu werden. Es sind Hinterlassenschaften der legendären und immer noch verehrten Godlings. Geheimnisvolle Über-Wesen, für welche diese Welt vor Jahrtausenden wohl eine Art Erlebnispark war, bevor sie sich gelangweilt vom kosmischen Acker machten und ihre Spielzeuge sich selbst überließen. 

Wer auf Erklärungen wartet, der wartet vergebens. Dem erfahrenen Leser ist klar: Hinter den Kulissen ist fortschrittlichste Hard SF am Werk. Wir befinden uns auf einer gigantischen Dyson-Sphäre, errichtet um den heißen Kern eines sterbenden Sternes. Und wir befinden uns in einer extrem weit entfernten Zukunft, kurz vor dem entropischen Altersruhestand. Hier hebt McAuley das Motiv des Spätwesterns auf die kosmische Bühne. Alles ist längst geschehen, alle Taten vollbracht. 

»So much time has passed since the universe hatched from the cosmic egg that countless races have been able to bootstrap themselves to godhood. Every Star in our galaxy, every world, has been visited, used or changed by some kind of god.« (S. 383)

Die genauen Hintergründe und wissenschaftlichen Zusammenhänge bleiben dem Leser ebenso verschlossen wie den Bewohnern dieser künstlichen Welt. Einzelne »Philosophen« versuchen, rationalen Sinn in ihrer Welt und den Hinterlassenschaften der Godlings zu finden, doch ihre kleinen Fortschritte sind mühsam. Bei so viel Sense of Wonder bleibt eben nur das Wundern.

Nur einer hebt sich von allen ab: Remfrey He, der soziopathische Massenmörder, dem der Ex-Sheriff auf der Spur ist. Thorns Nemesis ist ein böses Genie und Genies werden dringend gebraucht, denn die Welt wird durch eine Invasion aus dem All bedroht. Fremde Gene verändern das Leben und wandeln es in einen Gruppenorganismus, der die Dyson-Sphäre effektiv und unempathisch wie ein Ameisenstaat unterwirft. A Virus is only doing it’s job. »Maps«, die Karten, die dem Roman den Titel geben, sind keine Landkarten, sondern Gen-Karten. Baupläne des Lebens, die nur von den mentalbegabten Map-Readern gelesen und verstanden werden können. Der War of the Maps ist der Kampf um die Ökosphäre und damit um die Zukunft dieser künstlichen Welt. 

In der Schilderung der sich ausbreitenden Bio-Freak-Show scheint sich McAuley mit Lust an ein weiteres klassisches Genre anzulehnen: die comichaft grotesken Klischees der Pulp SF-Magazine und B-Picture, mit ihren Covern und Plakaten voller »unsagbarer Kreaturen«.

»Red crabs big as horses, enormous claws raised like boxers’ fists. Bloated bags squatting on clusters of restless tentacles. Bell-shaped translucent jellies … Balls got up from armour plates, teetering on spiky tripods. Child-sized things that appeared to be wearing their internal organs on the outside.« (S. 344)

Für mich ist schwer vorstellbar, dass McAuley die Sache hier völlig ernst nimmt. Eher bin ich versucht, die 3D-Brille gerade zu rücken und nach Chips und Drogen zu greifen. Remfrey He, den die autokratische Monarchie Patua dieser Bio-Invasion entgegenstellen möchte (man hat den Superschurken quasi ausgeliehen), ist ebenso jenseits von Gut und Böse wie der Gegner; dabei jedoch eitel, arrogant, narzisstisch und verlogen. Ein Mad Scientist in bösartigster Reinform, eine bizarre Mischung aus Josef Mengele und Joker. Und wie Letzterer ist er auch kein besonders zuverlässiger Bundesgenosse und entpuppt sich schnell als der Geist, den man wohl doch lieber nicht gerufen hätte. Was Lucidor Thorn zahlreiche »ich hab’s euch gleich gesagt« Momente verschafft. 

So ist die Grundmechanik der Handlung letztlich simpel: Guter verfolgt Bösen, der aber vielleicht die Welt retten kann und damit irgendwie ja auch ein Guter wäre. Ob das den Guten zum Umdenken bringt? Diese Frage stellen sich Feinde, Freunde und Weggefährten von Lucidor Thorn. Der Leser allerdings nicht. Gut und Böse in dieser Geschichte sind frei von Zwischentönen. Man tut gut daran, die oberflächliche Klarheit der Personen von Anfang an Ernst zu nehmen. Sie hat keinen doppelten Boden. War of the Maps ist letztlich vor allem die Geschichte einer unverrückbaren Feindschaft, in der die Fronten scharf und hart wie eine Diamantklinge sind. Als Protagonisten eines Entweder-oder sind Remfrey He und Thorn Anachronismen in einer Welt unaufhörlichen kulturellen und biologischen Wandels. Der Sheriff und der Massenmörder wirken wie die binären Größen des ewigen Kampfes zwischen Gut und Böse. Das Schwarz-weiß der einleitenden Westernklischees wird im Laufe der Handlung zum Kampf um die Schöpfung selbst. 

Auf diese Weise verwehrt McAuley den beiden Hauptfiguren jedoch auch jede innere Entwicklung. Starr haben sie ihre Seiten und Wahrheiten schon lange vor Beginn der Handlung gewählt und folgen diesem Kompass mit teilweise ermüdender Beharrlichkeit. Der Lucidor zum Ende des Romans ist im Grunde derselbe, wie wir ihn zu Beginn kennenlernen, wenn auch in gesundheitlich schlechterem Zustand. Doch Alter, Krankheit und Verletzungen können hier keine Charakterentwicklung ersetzen.

Nimmt man Ursula K. LeGuins Bestimmung eines Romans als Schilderung der Veränderung eines Menschen, dann bleibt McAuley uns dies schuldig. Und hier beginnen auch kleinere Schwierigkeiten, die ich mit dem Roman hatte. Vor allem der zu lang geratene Mittelteil plagte mich durch Langeweile. Wenn nichts passiert als Schauplatzwechsel und austauschbare Gefahren, passiert im Grunde recht wenig. Fehlt die innere Entwicklung der Hauptperson, dann fehlt genau das, was einen Roman von »unterhaltsam« zu »wirklich gut« erhebt. Dieser Roman ist unterhaltsam, aber um mich 400 Seiten mit emotionaler Anteilnahme lesen zu lassen, braucht es genau das: emotionale Anteilnahme. Und hier bleibt der Roman leider in seinen Western-Zitaten und Pulp-Reminiszenzen stecken. Eindimensionale Figuren ergeben eine eindimensionale Geschichte und damit jenseits der 200 Seiten zwangsläufig eine gewisse Eintönigkeit. So hätte der Roman mehr Charakterentwicklung oder weniger Seiten gebraucht, um mich wirklich zu begeistern. War of the Maps bleibt jedoch ein unterhaltsamer Reigen fremder Kulturen, bizarrer Einfälle und weitgestreuter Genre-Zitate. Und David Carradine war einfach eine coole Sau. Das mag auch mal genügen.