Dienstag, 7. Juli 2020

Die Welt ist eine Erzählung

Um die Wirklichkeit zu verstehen, müssen wir eine Geschichte erzählen.

Die Narration ist die unmittelbarste und umfassendste Annäherung an Wirklichkeiten und Zukünfte. Nur die Erzählung bezieht den subjektiven Innenraum einer Situation mit ein: die Gefühls- und Erlebenswelt. Da keiner von uns jemals diese Perspektive verlassen kann, ist die Narration für uns die wirklichste Wiedergabe einer Situation. Wenn wir auf den Fortgang und die Zusammenhänge unseres Lebens blicken, sehen wir keine Dokumentation, Statistik oder Analyse. Unser Leben erscheint uns gleichsam als eine Art Erzählung. Nur in der Narration können wir deshalb den vollen Realitätsumfang erspüren. Die unpersonale Analyse hat wichtige Funktionen für das Verständnis komplexer Sachverhalte, sie ist aber auch wie das Kochrezept im Vergleich zum Erleben des Essens.

Um den Versuch zu wagen, die Konsequenzen eines Sachverhaltes angemessen einzuschätzen, müssen wir das Erfühlen einbeziehen. Uns besinnen auf den ganzheitlichen Zugang zu den Umständen der Welt, wie sie uns nur die Narration ermöglicht, da nur sie aus der gleichen Richtung auf die Wirklichkeit blickt wie wir.

Kritischer Rationalismus und Wissenschaften öffnen die Welt für das Bewusstsein, aber die Erzählung öffnet den Geist für die Welt.

Will man die volle Bedeutung der Dinge verstehen, die unser Leben formen, muss man eine Geschichte darüber erzählen.

Mittwoch, 1. Juli 2020

"Wurde Ihnen gestattet, ein Interview zu führen?" – Sehenwerte Doku über Peking im Lockdown

Link zur Doku:


Unsere Siege – und Niederlagen – gegen Corona sind jene einer Gesellschaft, die über Konsens, Freiwilligkeit und Demokratie funktioniert. Einige Zuschauer, die in dieser Arte-Doku von Sébastian le Belzic einen Blick nach China werfen, werden sicher begeistert denken: Ja genau, so muss man das machen! Aber mir läuft es kalt den Rücken runter.

Eine unheimliche Mischung aus Bespitzelung im Sowjet-Style durch privilegierte Underlinge (aka "Nachbarschaftskomitees") mit lückenloser digitaler Totalüberwachung. Blogger, die auf Nimmer Wiedersehen aus der Quarantäne verschwinden, nachdem sie in einer letzten Botschaft mit Tränen in den Augen der Geheimpolizei den Finger gezeigt haben.

Wenn wir hier das global dominierende Gesellschaftsmodell des 21. Jahrhunderts sehen, kommen schwierige Zeiten auf uns zu. Dann lieber der selbstbestimmte, fehlerhafte, tastende und nervenaufreibende Weg einer freien Demokratie. Das utopische Streben nach Perfektion und absoluter Sicherheit war stets der Antrieb eines dystopischen Regimes. Wenn alles klappen muss, stirbt die Freiheit.

Sehenswert! – Nur der Titel, "Peking atmet auf", ist ein wenig seltsam.