(Der amerikanische Schriftsteller Fredric Brown veröffentlichte in den 40er Jahren eine der kürzesten Geschichten, die es gibt. Sehr viele kennen sie. Sie passt in eine Zeile:
Viele haben sich gefragt, wie diese Geschichte wohl weitergehen könnte. Vor einigen Jahren habe ich versucht, darauf meine eigene Antwort zu finden.)
Der letzte Mensch der Welt saß in einem Raum. Da klopfte es an der Tür.
Der Mann, der auf einem Stuhl an einem Tisch saß, starrte auf die Tischplatte zwischen seinen Händen. Sein Atem beschleunigte sich. Er zwang sich dazu, nicht zur Tür zu blicken.
Da klopfte es ein zweites Mal.
»Geh weg.« Seine eigene Stimme hatte er eine lange Zeit nicht mehr gehört. Sie klang ungewohnt für ihn. Stumm wiederholten seine Lippen die Worte. Geh. weg.
Minuten verstrichen. Langsam hob der Mann seinen Kopf und blickte zur Tür.
Das Klopfen wiederholte sich. Es klang lauter, drängender. Der Mann stand auf und trat zur Tür. Der Raum, in dem er lebte, war sehr klein. Sein Herz schlug schneller, als er seine Handfläche langsam auf das Holz legte. Mit großer Wucht schlug jemand von der anderen Seite mehrmals dagegen. Genau an die Stelle seiner Hand. Schnell nahm er sie zurück.
»Geh weg!« Lauter diesmal.
»Nein.« Die Stimme von der anderen Seite war gedämpft, aber deutlich.
Am liebsten wäre der Mann bis zur gegenüberliegenden Wand zurückgewichen, doch er schaffte es, stehen zu bleiben. Er trat an die Tür und legte vorsichtig ein Ohr an das Holz. Jeden Moment erwartete er die nächsten Schläge, doch nichts geschah. Mit geschlossenen Augen versuchte er, durch die Tür zu lauschen. War das ein Atmen, den er hörte? Oder das Scharren eines Fußes? Vielleicht war es nur das Rauschen in seinen Ohren.
»Du kannst nicht da sein«, rief er. »Ich bin der letzte Mensch.«
»Das stimmt.«
Darauf ging der Mann in die Knie und legte sich auf den Boden, um unter dem schmalen Türspalt hindurch zu sehen. Es war hell auf der anderen Seite und er sah zwei Schatten, die Füße sein konnten. Sie bewegten sich leicht. Sein Mund wurde trocken und das Herz in seiner Brust hämmerte. Als er sich wieder im Griff hatte, erhob er sich. »Wer bist du?«
»Ich bin ein Teil von dir.« Wieder kam das Klopfen. »Lass mich rein.«
»Wenn du ein Teil von mir bist, wie kannst du dann auf der anderen Seite der Tür sein?«
»Du selbst hast mich fortgeschickt.«
Der Mann runzelte verwundert die Stirn und dachte angestrengt nach. »Daran kann ich mich nicht erinnern.«
»Ich weiß. Ich bin deine Erinnerung.«
Der Brustkorb des Mannes hob und senkte sich in einem schnellen Rhythmus. Sein Atem erstarrte, als er sah, wie sich die Türklinke senkte. Er hatte vergessen, ob er die Tür abgeschlossen hatte. Von der anderen Seite wurde heftig an der Türklinke gerüttelt. Sie war verschlossen.
»Was willst du?«, schrie der Mann.
»Ich will zurück zu dir. Du brauchst mich.«
Nur mit Mühe konnte er seine Stimme beruhigen. »Warum habe ich dich weggeschickt?«, fragte er betont und langsam.
»Ich habe dir wehgetan.«
Er machte einen Schritt zurück, bis er hinter sich die Tischkante spürte. »Und wenn ich dich hineinlasse. Dann tust du mir wieder weh?«
»Du brauchst mich.«
»Woran werde ich mich erinnern, wenn ich dich hinein lasse?«
Eine Zeit lang herrschte Schweigen.
»An dein Leben, bevor du dich in diesem Raum eingeschlossen hast.«
Das Zittern seiner Hände ließ sich nur schwer unterdrücken. Sie ballten sich zu schmerzhaften, hilflosen Fäusten. »Ich bin der letzte Mensch. Ich kann nicht hinaus.«
»Ich weiß. Du brauchst mich.«
Langsam sank der Mann zu Boden und kauerte sich zusammen. »Geh weg«, flüsterte er.
»Bitte«, sagte die Stimme.
Der Mann kroch unter den Tisch und legte sich die Hände über das Gesicht. Er bewegte sich nicht. Das Klopfen wurde nicht mehr wiederholt. Die Stimme schwieg und das Schweigen hielt an.
Irgendwann kamen die Tränen.