Mittwoch, 30. November 2022

Auch der Teufel sitzt in der Hölle

Ich habe The Narrow Road to the Deep North von Richard Flanagan gelesen. Für mich ist das ein überragend guter Roman. Hier ein paar Gedanken dazu.


Dorrigo Evans ist Arzt in einem Arbeitslager im burmesischen Dschungel während des Zweiten Weltkrieges. Unter der brutalen Herrschaft japanischer Offiziere und koreanischer Aufseher sollen größtenteils australische Kriegsgefangene eine ebenso irrsinnige wie sinnlose Bahnstrecke durch den Dschungel schlagen, zum Ruhm des japanischen Kaisers. Der historische Kontext ist authentisch, beim Bau der Thailand-Burma-Eisenbahn starben insgesamt 40.000 bis 90.000 Menschen. Dies ist eines der größten Kriegsverbrechen durch die Japaner. Auch der Film Die Brücke am Kwai handelt davon.

Flanagan schildert das Leiden und Sterben der Protagonisten dieses Kriegsverbrechens mit großer Eindringlichkeit und gnadenloser Detailtreue. Das ging mir beim Lesen an die Nerven und ich musste mehr als einmal das Buch senken und kurz innehalten.

Je tiefer ich beim Lesen in diese tägliche Qual hineingezogen wurde, desto mehr verschwammen Opfer und Täter in der Grausamkeit des Krieges. Alle sitzen in einer gemeinsamen Hölle, der Teufel ebenso wie seine Opfer. Auch die kleinsten Gesten von Menschlichkeit wirken in dieser Welt wie etwas übernatürlich Fremdes, wie die vagen Schatten einer Wirklichkeit, die für diese Menschen im Dschungel für immer verloren scheint. Und doch geht es in diesem bemerkenswerten Roman genau darum: Wie kann man ein guter Mensch bleiben? Und was bedeutet gut in einer Welt, in der es praktisch keine moralisch guten Handlungsoptionen mehr gibt?

Der Roman beginnt nicht in dem Arbeitslager und er endet auch nicht in ihm. Zeitlich und menschlich geht die Handlung weit über dieses zentrale Thema hinaus. Wir lernen Dorrigo Evans schon vor dem Krieg kennen und begleiten ihn auch danach in seinen letzten Jahren als gefeierter Chirurg, dekorierter Kriegsheld und ruheloser Ehebrecher und Frauenheld, dessen innerliche Leere jedoch nichts mehr aufzufüllen vermag.

Der Leser folgt den Schicksalen von Ewans Kameraden und Leidensgenossen, aber auch jenen der japanischen und koreanischen Kriegsverbrecher. Wir werden Zeuge von Verdrängung, Selbstlügen, von zerbrochenen Seelen und – selten und zart – Erlösung und Vergebung. Immer wieder wechselt die Erzählung zwischen den Zeiten und Menschen und verknüpft verschiedene Lebensgeschichten vor, während und nach dem Krieg. Im Zentrum dieser Lebensgeschichten übt die Todeslinie im Dschungel wie ein Schwarzes Loch seine durchdringende Gravitation auf das Leben aller Beteiligten aus.

Zu Beginn forderte der Roman einige Seiten Eingewöhnung von mir, denn zumindest im englischen Original fehlen die Anführungszeichen bei wörtlicher Rede. Auf solche Stilmittel stehe ich eigentlich nicht, finde sie manchmal etwas affektiert. In dieser Geschichte macht es jedoch absolut Sinn. Durch diesen Kniff rückte das Innen und Außen, das Denken und Reden der Personen enger zusammen und wechselt fließend ineinander. Seite um Seite bekam The Narrow Road to the Deep North so für mich einen fast hypnotischen Sog, der zur bedrückenden Ausweglosigkeit des Todeslagers passt. Eine Ausweglosigkeit, welche die wenigen Überlebenden niemals wieder überwinden können.
Es ist der erste Roman, den ich von Richard Flanagan gelesen habe und es wird sicher nicht der letzte sein. Stilistisch und erzählerisch gehört er zu den besten Büchern, die ich in den letzten Jahren gelesen habe. Für mich ist das einer jener Romane, die mich ab nun begleiten werden. Ein großes Stück Literatur, ein kleines Meisterwerk.

Freitag, 10. Juni 2022

To boldy return to where we have been a thousand times

Ich habe mittlerweile die zweite Folge von Star Trek Strange New Worlds gesehen. Die Rückkehr zur Binnenhandlung finde ich toll und richtig! Die Folge ist spannend und alles, trotzdem bin ich insgesamt unentschlossen. Die Einführung der Personen und ihre Hauruck-Holzschnitt-Charakterisierung fühlt sich schon sehr nach Wohlfühldrehbuch-Algorithmus an. Uhuras Backgroundstory fand ich ermüdend, das ist alles klischeehaft und platt. Das war bei Star Trek selten anders, aber kriegen wir das mittlerweile nicht besser hin? Schauspielerisch überzeugt mich vor allem Anson Mount als Pike, der den Rest in die Tasche steckt. Melissa Navia und Dean Jeanotte haben zumindest schon mal einen Sympatico-Bonus (siehe oben unter Drehbuch Algorithmus). 

Strange New Worlds ist gut genug (und immerhin meilenweit besser als Picard und Discovery!), um mir irgendwann noch mehr Folgen anzusehen, aber die 60er Klischees der guten Amerikaner im glossy Gewand ergeben halt ein B-Picture. Das muss man wohl akzeptieren.


Das Problem der Serie mag sein, dass sie im Dreikampf mit MCU und Star Wars nur Erfolg hat, wenn sie irgendwie "für alle" konsumierbar ist. Und da zielen die Psycho-Targeter der Studios auf eine Zielgruppe, die man offensichtlich auf Tele Novela Niveau einschätzt. Ob dies so ist, sei dahingestellt. Und diese Targetgroup braucht anscheinend äußerst klischeehafte Mikro-Charakterisierungen fürs emotionale Matching. Gähn.


Trotzdem macht das Star Trek Universum mit Strange New Worlds einen Schritt nach vorne. Und wer weiß, wie sich die Serien noch entwickelt. Vielleicht schwimmt, äh fliegt, sich die Crew um Captain Pike ja noch frei … to bold go to where we are not sedated by the same Hollywood clichés over and over again.