Donnerstag, 27. März 2025

Die andere gleiche Jugend

Peter Richters Roman »89/90« erzählt von einer Jugend, wie sie überall hätte stattfinden können, nur eben in der zerfallenden DDR. Eine Geschichte, in der alles fremd und zugleich sehr vertraut ist.

Musik (viel Musik), erste Mädchen (und zweite, dritte), Fußball, Faschos (und Fußballfaschos). Die ganze brodelnde Jugend mit Alkohol und Unsterblichkeit, nur eben in einer untergehenden DDR. Unsere Jugend im Westen hörte auf, einfach weil wir älter wurden. Ihre hörte auf, weil alles kippte und jeder am genau selben Ort wie gestern plötzlich völlig woanders war. 

Wie würde ich diesen Roman lesen, wenn ich auf der anderen Seite gewesen wäre? Ich war tief im Westen, auch innerlich. Zur Zeit des Mauerfalls war ich schon fünf, sechs Jahre älter als der Erzähler dieses Romans, aber immer noch nah genug an unserer Version seines Lebens.

Und es war komplett anders und zugleich völlig dasselbe. Wir waren genauso unpolitisch politisch, genauso auf uns und unsere Hormone fixiert. 

Die ersten Bilder der Montagsdemos hätten für uns genauso aus Chile kommen können. Wir sahen zu und es war, als würde sich ein anderes, weit entferntes Land mit einem weiteren anderen, ebenfalls weit entfernten Land vereinen. Ich weiß nicht, ob für uns Venloe oder Roermond hinter der holländischen Grenze eher zu uns gehörten als Leipzig, Dresden oder das Meer der Stille auf dem Mond, ob wir wirklich eine Meinung dazu hatten. Es passierte einfach und wir sahen zu.

Und auf der anderen Seite ging es vielen offensichtlich ganz genauso. Jenseits der Demos und der Geflüchteten in Botschaften gab es eine riesige Menge normaler Jugendlicher, die ziellos unzufrieden und behütet rebellisch waren und von den Geschehnissen einfach irgendwie mitgenommen wurden, während sie selbst – wie alle Jugendlichen der Welt – vor allem mit sich selbst beschäftigt waren.

Dieser Roman öffnet mir eine Tür in eine Spiegelwelt, die es damals auf der anderen Seite gab, mit Jungs und Mädchen, die genauso waren wie wir und von denen wir überhaupt nichts ahnten, weil uns das auch überhaupt nicht interessiert hätte. 

Genau deshalb ein ganz toller Roman.

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